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TALKS

INFRASTRUCTURE, ENERGY & BATTERY LIFE CYCLE

Die neue Definition von Freiheit

by Pascal Sperger | Lesezeit: 6 min | April 2022

Challenge the Challenge

Noch nie in der Geschichte der Mobilität war es dem Einzelnen möglich, Treibstoff für sein Auto selbst zu produzieren. Und das auch noch völlig ungefährlich, nachhaltig und umweltfreundlich. Eine erfolgreiche Energie- und Verkehrswende kann uns damit mehrschichtig von alten Abhängigkeiten befreien – und der individuellen Mobilität den Freiheitsbegriff zurückgeben, der sie so groß gemacht hat. Dafür muss allerdings auch die Infrastruktur mitwachsen, müssen wir uns an die neue Zeit anpassen und nicht zuletzt, Kreislaufsysteme für die ressourcenschonende Neuproduktion von E-Auto-Batterien etablieren.

Innovation ist ein Prozess, ein stetes Voranschreiten, Innovation bedeutet, in Bewegung bleiben, Anpassen, Adaptieren und Verbessern. Nur ins Ziel kommt man im Idealfall nie, denn das hieße Stillstand. Und der ist gerade im Mobilitätsbereich ein rotes Tuch, wo schon die aktuellen Claims „Future is an attitude“, „Der Anspruch von Morgen“, „Umparken im Kopf“, „Drive the Change“ und „New Thinking. New Possibilities“, den Spirit der neuen Mobilitätsära verdeutlichen.

An welchem Kilometerstein auf dem Weg des Fortschritts wir aktuell stehen, ist eine Frage der Perspektive und des Blickwinkels. Versinnbildlicht heißt das: Obwohl die Geschichte der E-Mobilität schon über 100 Jahre alt ist, stehen wir bei der Mobilitätswende am Anfang. Bei der Batterieentwicklung sind wir gerade mittendrin. Für den konventionellen Antrieb läuten hingegen die Glocken das letzte Geläut. Brumm-Brumm. Bim. Bam. Bim. Bam. State of the art ist also im wahrsten Sinn bloß eine Momentaufnahme.

Permanent erregte Komponenten

Wir erleben eine Zeitenwende. Und die ist quasi permanent erregt, denn der elektrische Antrieb und all seine mit ihm verwobenen Komponenten sind die Anstifter dieses Umbruchs. Nur synchron läuft das nicht immer ab. Weil Konsumenten zu Produzenten werden, der Lärmpegel und die Emissionen sich in unseren Städten sprichwörtlich in Luft auflösen, wir uns von Abhängigkeiten lösen können und im besten Fall auch keine neuen verfestigen. Klar gibt es da Reibungspunkte. Aber könnte es besser sein? Nein. Ist das eine Herausforderung? Ja, sicherlich. Weil für die Transformation des Mobilitätssektors nicht nur Autos elektrifiziert, sondern auch die Stromproduktion, sowie die komplette Infrastruktur angepasst werden und wir unser Verhalten ändern müssen. Und all das am besten parallel und im Gleichschritt, während noch Wege etabliert werden sollen, damit die verbauten Rohstoffe wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückkommen.

Bei welchen Aspekten wir gerade den Grundstein errichten, die Stützmauern hochziehen und kurz vor dem Durchbruch stehen, das war das bestimmende Thema im vierten und letzten Panel auf dem von vibe und Audi veranstalteten Talk-Event „Challenge the Challenge“ im Wiener „House of Progress“. Diesmal sprach Moderator Christian Clerici* mit Robert Steinböck (Head of R&D Moon Power), Ralf Mittermayer (CEO Saubermacher AG), David Berger (Head of Business Development E-Mobility Wien Energie) und Hanno Miorini (Chairman of the Board bei A3PS).

Christian Clerici, Robert Steinböck, David Berger, Hanno Miorini, Ralf Mittermayer

Völlig außer Streit stand dabei die Notwendigkeit der Transformation, wie David Berger von Wien Energie betonte: „Die Mobilitätswende ist unbedingt notwendig und ein essenzieller Teil der Energiewende, denn rund 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in Wien sind dem Verkehrssektor zuzurechnen.“ Das Loslösen von alten Strukturen sei freilich kein brettelebener Weg, sondern manchmal ein schwieriger Pfad, weil „eine Herausforderung prinzipiell immer neu ist“ und „neue Dinge Vorurteile verursachen“ wie Robert Steinböck betont. Diese Mythen gelte es auszuräumen und abzubauen – weshalb unter anderem auch die “Moon City” in Salzburg als Kompetenz- und Erlebniszentrum errichtet wurde, das Elektromobilität in seiner Gesamtheit darstellt.

“Die Mobilitätswende ist unbedingt notwendig und ein essenzieller Teil der Energiewende, denn rund 40%
der Treibhausgas-Emissionen in Wien sind dem Verkehrssektor zuzurechnen.”

David Berger

Mehr als die Summe der Einzelteile

Der Verkehr ist mehr als die Summe seiner Teile. Nur ein holistischer Zugang verspricht der Mobilitätswende deshalb langfristig Erfolg, wie es Hanno Miorini von A3PS auf den Punkt bringt: „Wir müssen die Transformation gesamtheitlich darstellen. Und wir müssen klar machen, dass Wissenschaft ein dynamischer Prozess ist und sich Wissen verändert. Ja, wir wissen viel – doch morgen wissen wir vielleicht mehr und können Dinge noch besser verstehen.Ralf Mittermayer von Saubermacher verdeutlicht das an einem konkreten Beispiel: „Die E-Mobilität ist gekommen, um zu bleiben. Analog zum Smartphone stehen wir in der Entwicklung derzeit aber erst beim iPhone 4. Die Technologie ist da, sie funktioniert, wird aber noch deutlich besser werden.“

“Wir verstehen uns nicht als Abfallunternehmen, sondern als Firma, die Rohstoffe zurück an die Industrie liefert.”

Ralf Mittermayr

Die Präsentation des Smartphones ist 12 Jahre her, so lang wie ein Pre-Teenager-Leben. Und man fragt sich automatisch, was der Fortschritt in den nächsten 12 Jahren im Bereich der Fahrzeuge bringen mag. Zweifelsohne ist die Batterie hier das Zünglein an der Waage, wie Hanno Miorini betont: „Die Lithium-Ionen-Batterie ist das Herzstück der Elektromobilität. Leistungsstark und selbstentladungssicher. Sie ist allerdings eine Primadonna – der Temperaturbereich ist ihr sehr wichtig und sie will gut behandelt werden. Wenn man es mit der Entwicklung des Verbrennungsmotors vergleicht, befinden wir uns bei der Batterieentwicklung noch immer mitten in der Grundlagenforschung.”

Anders formuliert: Wir haben zwar einen guten Stand der Technik erreicht, aber auch noch viele Baustellen offen, wie Miorini ausführt: „Die Energiedichte muss noch größer, die Sicherheit und Robustheit muss erhöht und die Kosten weiter verringert werden.“ Mittelfristig liege das Potenzial bei einer Verdoppelung der Reichweite. Essenziell sei jedoch die Klärung „der Quellen von Kupfer, Silizium, Kobalt und Co“, denn „es sollte keine Abhängigkeit von bestimmten Ländern“ vorhanden sein.

“Wenn man es mit der Entwicklung des Verbrennungsmotors vergleicht, befinden wir uns bei der Batterieentwicklung noch immer mitten in der Grundlagenforschung.”

Hanno Miorini

Den Kreislauf in Schwung bringen

In den nächsten Jahren sollte mit steigender Recyclingquote ein stetig steigender Anteil dieser Rohstoffe in einem Kreislauf zirkulieren, wie Ralf Mittermayer von Saubermacher erklärt: „Wir verstehen uns nicht als Abfallunternehmen, sondern als Firma, die Rohstoffe zurück an die Industrie liefert. Das ist eine sehr schöne Aufgabe, weil das Ende einer Batterie ist auch immer der Beginn einer Neuen. Die Bestandteile sind sehr wertvoll und wir können heute schon über 90 Prozent recyceln z. B. bei Metallen – deshalb muss das als Kreislauf betrachtet werden.“ So wurden bei Saubermacher über die letzten Jahre „200.000 Tonnen Batterien recycelt“, wobei „bis 2028 primär Akkus von Smartphones, Laptops und sonstigen Haushaltsgeräten bis hin zu E-Bikes“ anfallen werden und sich dann „der Rücklauf der E-Auto-Batterien“ steigern wird. Vor dem Recycling sollte man laut Mittermayer jedoch „zuerst die Frage nach dem Second Life der Batterien stellen“. So könnten „Stromspeicher aus ausrangierten E-Auto-Batterien das Stromnetz entlasten und ein Einfamilienhaus bis zu einer Woche lang mit Strom versorgen“.

Für die Zukunft sollte darüber hinaus der Grundsatz „Was der Mensch zusammenfügt, das sollte er wieder trennen können“ noch stärker gelebt werden. Oder wie es Hanno Miorini ausdrückt: „Wir brauchen eine integrierte, sichere Batterie, die auch für das Recycling konstruiert wurde.“ Und das gilt freilich auch für die Feststoffbatterie, die aktuell als nächster Technologiesprung gefeiert wird. Sie verspricht hohe Reichweiten und mehr Sicherheit, wird aber nach der Meinung von Hanno Miorini erst „in zirka fünf Jahren serientauglich“ sein. Aktuell ist auch sie noch kein perfekter Alleskönner: „Die Feststoff-Batterie hat viele Vorteile, aber ebenso viele Herausforderungen. Bespielsweise sind hohe Ladeströme noch nicht möglich und die Performance bei niedrigeren Temperaturen eingeschränkt.“

Apropos Laden: Ohne Infrastruktur kein Vorankommen – selbst mit der größten Batterie. Laut David Berger von Wien Energie, ist es die größte Herausforderung in einer Stadt „erstmals eine adäquate Ladeinfrastruktur zu errichten“, weil „eine entsprechende Vielfalt und eine gute Mischung an Systemen und Ladeleistung bereitgestellt“ werden muss. Es brauche daher „intelligente Ladelösungen, Lösungen, die kommunizieren können und bedarfsgerechtes Laden ermöglichen.“ Das in der Hauptstadt vieles bereits richtig läuft, zeige laut David Berger der Umstand, dass „vergangenes Jahr an den 2.000 öffentlichen Ladepunkten mehr als 310.000 Ladevorgänge und über 5 Gigawattstunden an Energie abgesetzt und damit 4.300 Tonnen CO2 eingespart“ wurden.

Ich kann mir heute erstmals in der Geschichte des Automobils meinen Treibstoff selbst erzeugen.”

Robert Steinböck

Vertrauen und gute vibes als Motor

Mit der steigenden Verbreitung von E-Autos muss die öffentliche Infrastruktur freilich mitwachsen, wobei das volle Potenzial bei der Emissionseinsparung ja ohnehin erst dann ausgeschöpft wird, wenn der Strom für das Auto selbst erzeugt wird. Ein Novum wie Robert Steinböck die Verbindung von PV-Anlage und E-Auto beschreibt: „Ich kann mir heute erstmals in der Geschichte des Automobils meinen Treibstoff selbst erzeugen. Dafür brauche ich nur ein paar PV-Module auf meinem Dach. So bin ich unabhängig und keiner schreibt mir einen Preis vor.“ Ein Umstand, der die (E-)Mobilität sprichwörtlich wieder mit dem Freiheitsbegriff auflädt. Die Herausforderung sei es jedoch, die „Erzeugung, Speicherung und das Laden zu managen“, wofür es eine „dazwischen geschaltete Intelligenz“ brauche, die „die Kommunikation zwischen allen beteiligten Geräten, Fahrzeugen, Anbietern und Netzbetreibern steuert, überwacht und protokolliert“.

Und wieder einmal wurde auf dem Talk-Event deutlich: Alles ist verwoben, alles prioritär in diesem allumfassenden Umbruch. Die Zeit der Einzelkämpfer ist abgelaufen, den Moment und die nächsten Jahre kann nur das Kollektiv gestalten. Insofern braucht es breit gestreutes Vertrauen, wie alle Diskutanten unterstrichen. In die Wissenschaft, die Innovationen, den Ausbau der Infrastruktur, die steigende Ökostrom-Produktion und in uns selbst, wenn wir persönliche Grenzen überschreiten, um Neuland zu betreten und dort jene Erfahrungen zu machen, die Vorurteile und Mythen aufbrechen und positive vibes generieren. Denn die glaubwürdigste Werbung ist die positive Mundpropaganda – und die transportierte Begeisterung der größte Mut-Macher, überzeugendster Motivator und stärkste Motor der Transformation. Nur so kommen wir dem Ziel nahe, ohne Stillstand zu riskieren. Deshalb gilt für jeden von uns: Challenge the Challenge!

Christian Clerici und Audi von vibe

*Christian Clerici ist Head of Content & Creation bei vibe moves you und beschäftigt sich als Transformationsenthusiast und Mobilitätsexperte vorrangig mit dem Wandel im Energiesektor und auf der Strasse: “Die Einheit für Wandel und Transformation ist Augenhöhe – Zukunft muss zur Gestaltung einladen. Deshalb brauchen wir die wirklich guten Geschichten rund um den Wandel und sollten sie möglichst humorvoll und lustbetont zu erzählen.”

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